Mittwoch, 10. März 2010

Resumee eines Maturanten in spe

Schularbeit aus Deutsch, Essay zum Thema "Gute Schule - Schlechte Schule; welche Aufgabe übernimmt die Schule in der Postmoderne, welche Anforderderungen sollten von der Gesellschaft an die Schule gestellt werden?"

Als Schüler eines wissenschaftlichen Lyzeums befinde ich mich im Moment in der äußerst prekären Situation, dass mich nur noch ein knappes halbes Jahr von der Reifeprüfung trennt und ich, so Gott, der Weltgeist und die Prüfungskommission wollen, anschließend endgültig in die "harte Welt" entlassen werde. Das Abschlusszeugnis geschultert, gilt es dann Fuß zu fassen; das Leben - für das man ja schließlich in der Schule lernt - beginnt ja erst so richtig.
Doch anstatt mich nun in der Zukunft zu verlieren und waghalsige Vermutungen darüber aufzustellen, wie das Leben wohl nach der Matura aussehen wird, will ich versuchen über das zu schreiben, was mich wohl eher betrifft: die Schulzeit selbst; oder vielmehr - gelingt es der Schule, den Schüler wirklich aufs Leben vorzubereiten?
Die neun Pflichtschuljahre werden nach anfänglicher Euphorie meist eher missmutig hingenommen. Trotzdem nimmt der Schüler Hausaufgaben und Schulbesuch weitgehend ernst, meist wohl bedingt durch die wachenden Augen und die mahnenden Zeigefinger der Eltern. Doch schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren muss sich ein Heranwachsender entscheiden: er vertraut nun entweder die nächsten vier (oder mehr) Jahre einer Schule seiner Wahl an, in der Hoffnung, dass sie in der Lage ist, ihm eine gute Ausbildung angedeihen zu lassen, oder er beginnt zu arbeiten. Falls der Auszubildende auf den schnöden Mammon zu verzichten bereit, oder er von Natur aus eher faul veranlagt ist, geht er ersteren Weg und besucht eine Oberschule.
In meinem Fall, und ich denke, dass ich unter Altersgenossen keineswegs eine Ausnahme darstelle, habe ich mich nie bewusst für die Oberschule entschieden. Es war irgendwie von vorneherein klar, dass ich nach der Pflichtschulzeit die angefangene Schule auch zu Ende bringe.
Doch was nehme ich nun mit, nach fünf Jahren "Wisslyz"? Abgesehen von einem ungeordneten Haufen Latein-Vokabeln, einer fragmentarischen Übersicht über alles, was es wert ist, gemessen zu werden, und einer lückenhaften Abbildung der Weltliteratur... Ist es wirklich dieser schale Eintopf der Allgemeinbildung den es zu verinnerlichen gilt, ein Brei in dem man zwar viele verschiedene Geschmacksnoten erkennt, aber letztendlich doch, bedingt durch das Übermaß an Abwechslung, keine einzige zu deuten vermag?
Haben wir "O Fortuna" übersetzt, weil es uns glücklich gemacht hat?
Noch vor einem halben Jahr hätte ich, solch gute Vorlagen vorausgesetzt, wohlwollend noch eine draufgesetzt, wäre ich munter eingestiegen in den Reigen der kontraproduktiven Schulkritik, hätte ich mich in einem Gewirr aus sozialkritischen, revolutionären Phrasen verirrt, um abschließend mit meiner gesamten Ausbildung ein für alle Mal abzurechnen.
Doch heute nicht.
Mir scheint, ich habe in den letzten Monaten etwas verstanden, was für mich bis dahin im Verborgenen lag; mit der Schulzeit, besonders aber mit der Oberschulzeit, ist es gewissermaßen wie mit einem Puzzle-Spiel: während ich jahrelang nur auf die Form und Farbe der Teile geachtet habe, und darauf, wie sie sich in ihre unmittelbare Umgebung einbetten, beginne ich nun, da sich das Bild seiner Fertigstellung nähert, einen Schritt zurückzutreten und zu erkennen, dass alles zusammenhängt, und vieles überhaupt erst in der Gesamtkonzeption sichtbar wird.
Und hierin liegt meiner Meinung nach, auch die gegenwärtige Problematik des Gesamtkonzepts Schule. Der durchschnittliche Heranwachsende in der Postmoderne ist mit einer Überflut an Informationen dermaßen überstimuliert, dass es teilweise schwer zu verstehen scheint, weshalb ausgerechnet das konservativ-autoritäre System Schule die Wahrheit für sich gepachtet haben soll. So geben viele Jugendliche die Obhut über ihre Ausbildung an Massenmedien, Lokalpolitiker, oder Alkohol ab, noch bevor sie in den Genuss kommen, zu erkennen, dass trotzdem nicht alles umsonst ist, dass die scheinbar sinnlos verbrachten Jahre hinter Büchern, Formeln und Vokabeln im Rückblick doch einen Sinn machen, dass in der schier unendlichen Fülle an Informationen die man in seiner Schulzeit, gleich den Abziehbildern aus einem Sammelalbum, hortet, zwar nur einige wichtige dabei sind, aber wenn man vermag jene Wesentlichen zu isolieren, man wirklich von sich behaupten kann, nicht für die Schule, sondern fürs Leben gelernt zu haben.
Valentin Gasser